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Maßnahmenbericht für eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende

Der 2024 vorgelegte Bericht des Umweltbundesamts dient als fachliche Grundlage für nationale Entscheidungsprozesse zur Ökologisierung des Verkehrssektors unter ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten, sowie unter Berücksichtigung von Akzeptanz und sozialer Verträglichkeit der Mobilitätswende.

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Österreichs Kompass im Klimadiskurs

Die vom Umweltbundesamt in regelmäßigen Abständen erstellten Energie- und Klimaszenarien bilden den Kompass für die politische Diskussion über Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen in Österreich. Besonderes Augenmerk gilt dem Szenario „With Additional Measures“ (WAM), da die Umsetzung der darin abgebildeten, über die Fortschreibung des Status quo hinausgehenden Maßnahmen von den Expert:innen als wahrscheinliches Szenario eingeschätzt wird. Die Ergebnisse der im Jahr 2023 durchgeführten WAM-Analyse zeigen, dass die darin berücksichtigten Maßnahmen in ihrer Art und Ausgestaltung nicht ausreichen, um das für den Verkehrssektor vorgegebene Treibhausgasreduktionsziel von minus 48 Prozent im Jahr 2030 gegenüber 2005 zu erreichen. Um das als unzureichend eingestufte Ambitionsniveau zu erhöhen, hat das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) im Frühjahr 2023 das Umweltbundesamt beauftragt, weitere Maßnahmen zu identifizieren und zu analysieren. Mit dem „Maßnahmenbericht für eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende“ wurde 2024 das Ergebnis eines mehrstufigen Prozesses zur Auswahl dieser Maßnahmen sowie deren Analyse unter ökologischen, umweltökonomischen und sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten vorgelegt.

Kurskorrektur der Mobilitätswende

Die im „Maßnahmenbericht für eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende“ vorgestellten Einzelmaßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor wurden in einem mehrstufigen Auswahlprozess unter Einbindung relevanter Stakeholder identifiziert. Nach den Kriterien „wirksam“, „ambitioniert“, „realisierbar“, „modellierbar und quantifizierbar“ wurden 13 Maßnahmen ausgewählt:

  1. Erweiterung des öffentlich zugänglichen Mobilitätsangebots

  2. Förderung des Teilens von Fahrzeugen

  3. Attraktivierung des Mitfahrens

  4. Förderung des Fuß- und Radverkehrs

  5. Förderung des schienengebundenen Güterverkehrs und der Güterverlagerung auf die Schiene

  6. Reduzierung der Höchstgeschwindigkeiten

  7. Ausweitung Road Pricing

  8. Einführung von Nullemissionszonen

  9. Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energie im Verkehr

  10. Erhöhung der Mineralölsteuer für Land- und Wasserverkehr

  11. Ökologisierung der Pendlerpauschale und Einführung Mobilitätsbonus

  12. Ökologisierung der Kfz-Zulassungssteuer (Normverbrauchsabgabe) für Pkw

  13. Ökologisierung der Dienstwagenbesteuerung

Diese Maßnahmen beinhalten sowohl Anreize (Pull-Faktoren) als auch Vorgaben (Push-Faktoren), die entweder ordnungsrechtlicher oder ökonomischer Natur sind. Ihre erfolgreiche Umsetzung setzt jedoch voraus, dass geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese werden durch sogenannte „Grundbausteine“ bereitgestellt. Dazu zählen unter anderem die Raumplanung, Flächenwidmung, Klimapartnerschaften, Aspekte der Digitalisierung, Klimachecks relevanter Rechtsmaterien, die Integration verschiedener Sektoren, ein umfassendes Mobilitätsmanagement sowie gezielte Bewusstseinsbildung. 

Wirkung und Akzeptanz der vorgestellten Maßnahmen

Zur Einordnung ihrer Wirkung wurden die Maßnahmen im Einzelnen auf ökologische und umweltökonomische Potenziale hin jeweils in zwei aufeinander aufbauenden Intensitäten (Ausnahmen siehe Abbildung) untersucht. Bei den resultierenden Potenzialen handelt es sich um maximale Einzelmaßnahmenpotenziale, die nicht summiert werden können, da die gleichzeitige Umsetzung sowohl zu einer Verringerung (etwa durch das Zurückgreifen auf die gleichen Wirkungsmechanismen) als auch zu einer Verstärkung (beispielsweise durch Pakete sich ergänzender Push- und Pull-Maßnahmen) des Gesamtpotenzials führen kann. Nach Wirksamkeit gereiht rangieren Push-Maßnahmen tendenziell vor Pull-Maßnahmen, wobei den Maßnahmen zu Mineralölsteuer, Road Pricing, Höchstgeschwindigkeiten, Anteil Erneuerbare, Nullemissionszonen und Kfz-Zulassungssteuer die höchsten Potentiale zukommen.

© Umweltbundesamt

Ergänzend zur ökologischen Wirkungsevaluation wurden die Maßnahmen Road Pricing, Mineralölsteuer, Pendlerpauschale und Kfz-Zulassungssteuer auch hinsichtlich der umweltökonomischen Wirkungen „Veränderung der Wertschöpfung, der Beschäftigung, der öffentlichen Finanzen und der Haushaltseinkommen“ untersucht. Den hohen emissionsmindernden Potenzialen dieser vier Maßnahmen stehen aus ökonomischer Sicht überschaubare Effekte gegenüber.

Auf einer dritten Untersuchungsebene wurde eine sozialwissenschaftliche Akzeptanzanalyse durchgeführt. Die Einzelbetrachtung zur Befürwortung beziehungsweise Ablehnung der vorgestellten Maßnahmen wurde hierbei um die Bildung bevorzugter Maßnahmenpakete ergänzt. Ziel dieser Vorgehensweise waren „Rückschlüsse auf die relative Akzeptanz der Maßnahmen, da frühere Studien zeigen konnten, dass eine Kombination von Push- und Pull-Maßnahmen insgesamt zu höheren Zustimmungswerten führte.“ Neben Einstellungen etwa zu Umwelt und Klima bestimmen kontextuelle, mit der Umsetzung von Maßnahmen zusammenhängende Faktoren wie erwartete Wirksamkeit oder erwartete Fairness die Unterstützung klimapolitischer Maßnahmen. Die Ergebnisse des durchgeführten Choice-Experiments zu bevorzugten Maßnahmenbündeln belegen, dass kontextuelle Faktoren bei der Kombination von Push- und Pull-Maßnahmen im Rahmen des sogenannten „Policy Packaging“ die Akzeptanz einzelner Maßnahmen erhöhen können.

Exkurs Mobilitätsarmut

Der „Maßnahmenbericht für eine sozial- und klimaverträgliche Mobilitätswende“ nimmt abschließend im Rahmen eines Exkurses Bezug auf die soziale Verträglichkeit der Mobilitätswende und thematisiert – angelehnt an den Begriff der „Energiearmut“ – die „Mobilitätsarmut“. Definiert wird diese sowohl als „Erreichbarkeitsarmut“ als auch als Mangel an „Geldmittel, um alltägliche Mobilitätsbedürfnisse befriedigen zu können“. Während einige Maßnahmen der Mobilitätsarmut entgegenwirken, verschärfen andere potenziell die Mobilitätsarmut.

Beispiel
Die Maßnahmen 1 bis 4 haben das Potenzial, durch die Verringerung der Notwendigkeit eines eigenen Pkw den finanziellen Aufwand der Haushalte für Mobilität zu senken. Im Gegensatz dazu könnten Maßnahmen, die eine Beschleunigung der Elektrifizierung der österreichischen Fahrzeugflotte bewirken, insbesondere einkommensschwächere Haushalte benachteiligen. Dies ergibt sich aus den oft höheren Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge sowie möglichen zusätzlichen Investitionen, wie beispielsweise für die Errichtung einer Photovoltaikanlage zur Fahrzeugladung.

Eine konkrete Untersuchung der Auswirkung der im Bericht dargestellten Maßnahmen auf die Mobilitätsarmut steht noch aus, es wird jedoch darauf hingewiesen, „dass dieser Aspekt bei allen untersuchten Maßnahmen noch vor deren Umsetzung zu betrachten ist und gegebenenfalls wirkungsvolle Kompensationsmaßnahmen gesetzt werden sollen, um von Mobilitätsarmut betroffene Haushalte nachhaltig zu entlasten. Mittelfristiges Ziel muss es sein, dass alle alltäglichen Bedürfnisse ohne Besitz eines Privat-Pkw befriedigt werden können. Dies wird unter anderem auch einstimmig im Abschlussbericht des vom Nationalrat eingesetzten ‚Klimarats der Bürgerinnen und Bürger‘ empfohlen.“

Detaillierte Angaben zur Methodik und alle Ergebnisse des 181 Seiten umfassenden Maßnahmenbericht finden Sie im Downloadbereich.

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